Uiuiuiuiui… hier war es still. Hier war Besuch, dann war sehr viel Arbeit, dann war Urlaub und dann war noch mehr sehr viel Arbeit. Und bevor das immer so weiter geht, schreibe ich jetzt gegen das Nicht-Schreiben an.
Neulich regnete es. Es regnete neulich ziemlich viel hier. Wir gingen im Wald spazieren. Der Regen tropft mir über das kleine Schirmchen meiner Regenjackenkapuze auf die Nase. Ich seufze. Dann stecke ich mir die Kapuze hinter meine beiden Ohren. Jetzt habe ich Segelohren. „Christoph“, sage ich, „wie findest Du das?“ Da ich immer mit Beißschiene schlafe und Christoph mich jetzt manchmal liebevoll Toni Erdmann nennt, kann ich meinem inzwischen über zehn Jahre angetrauten Ehemann auch mit etwas Mut zur Hässlichkeit begegnen. „Und?“
„Ja, steht Dir“, meint er. „Das unterstreicht dieses leicht Trollartige, das du hast.“
Moment mal. „Trollartig? Du meinst so Hobbits und Haare auf den Füßen?“
„Nein, nein, ein niedlicher Troll.“
„Niedlich“, murre ich. „Troll ist Troll und die meisten Frauen wollen lieber Elfen als Trolle sein.“
„Kann sein. Aber ich hätte mir nie eine Elfe ausgesucht.“
Immerhin.
So. Trollfrau also.Und bevor Ihr jetzt anfangt, Euch vorzustellen, Ich hätte eine Knubbelnase und Haare auf den Zehen, die in dicken Holzpantoffeln stecken, die unter langen Schichten bunter Röcke nur ein kleines Stück zu sehen sind, kriege ich ganz schnell die Kurve und biege ab, um etwas über Söhne und Töchter, also über Jungs und Mädchen und deren angeblich fest im Gencode verankerte Vorlieben zu sagen.
Wir sind ja nun diese Bilderbuchfamilie: Großer Bruder, kleine Schwester. Landläufig hieße das: Ein Großer Wilder „Junge halt“ und ein niedliches, hilfsbereites Mädchen, das schon früh beginnt, der Mama beim Aufräumen zu helfen und vor allem „einfach sozialer“ ist.
Nun ist es bei uns so. Unser Junge liebt „Stahwoos“, „Lego Netschoneits“ und „Lego Ninjago“. Er schreit gern rum und ist gern der Größte. Auch liebt er in allen, allen Geschichten immer die Bösen. Wenn ich ihm beim Spazierengehen eine „Ohne-Geschichte-laufe-ich-nicht-weiter-Geschichte“ erzählen muss, müssen die Nexo Knights vorkommen und zwar die bösen und die müssen gewinnen. Jeder Trick, den die Guten sich ausdenken, wird sofort durch hinterhältige Finten („Nein, Mama, die gehen nicht unter von der Kanonenkugel, die haben nämlich Wasserpanzer an die Bösen“) abgewehrt.
Zugleich ist unser Sohn das vorsichtigste Kind, das ich kenne. Um es deutlicher zu sagen: Er ist ein ziemlicher Angsthase. Fahrrad kann er daher immer noch nicht fahren, und so langsam dämmert mir, dass die im Spaß oft geäußerte Drohung, wenn er nicht aufpasse, lerne seine vier Jahre jüngere Schwester das schneller, leider wahr werden könnte.
Ich sehe ihn außerdem oft im Spiel mit anderen Wildheit nur antäuschen. Während die anderen sich wirklich hinwerfen, aufeinanderspringen und den Ball mit allen Mitteln zu bekommen versuchen, tut Jonas mehr so, indem er aufgeregt und schreiend nebem dem Geschehen auf und ab springt. Ab und zu bewegt er sich in Richtung Ball, täuscht in Wahrheit aber nur an. Aufgepasst, Jonas, die Sportlehrer merken das. Eigene Erfahrung.
Das also ist mein „Wilder Großer“. Er baut hingebungsvoll große Legomaschinen. Er hört zwei Stunden am Stück zu. Er knobelt sich Rechenaufgaben zurecht. Er sagt mir mehrmals am Tag, wie lieb er mich hat.
Und Ida? Ida liebt Puppen. Ida hilft wirklich gern mit. Allerdings nur, wenn das gerade in ihren Spielplan passt. Ida ist ein kleines Schlitzohr und wirklich, wirklich keine Elfe. Nein, sie ist nicht dick und – meine Meinung – auch wirklich ausnehmend hübsch. Und sie ist auch nicht haarig. Aber sie ist so. So. So robust. Sie setzt sich durch. Wenn sie etwas nicht gleich schafft, schreit und wütet sie. Komme ich und frage „Ida, soll ich Dir helfen?“, sieht sie mich empört an und schreit „Nein, alleine!“
Gut, Ida. Gut so. Ich kann Dir zwar jetzt schon versprechen, dass Du damit nicht das beliebteste Mädchen Deiner Klasse wirst, dafür schaffst Du dann andere Dinge. Es wird Dir zu dem Zeitpunkt vielleicht nicht so vorkommen, aber es sind nicht unbedingt die unwichtigeren. Mir hat man in der Schule oft gesagt, dass es komisch sei, ich würde wie ein Mädchen aussehen, sei aber wie ein Junge. Was damit so ganz genau gemeint war, weiß ich bis heute nicht. Ich befürchte, es hatte mich guten Noten (jep, ich bin ein Voll-Streber und noch dazu ne Niete in Sport), recht großem Durchsetzungsvermögen und einer leider oft unmäßig großen Klappe zu tun.
Ida jedenfalls wird auch eher so von diesem Schlag sein. Ohne mein Zutun. Die macht das von ganz alleine. Und warum erzähle ich das? Weil diese ganze Sache mit den „irgendwie liegt es halt doch in den Genen“ mit dem Rosa und dem Blau mich so nervt. Als ich nur einen Jungen hatte, der zwar etwas ängstlich ist, aber wirklich gern mit Autos und Rittern spielt, konnte ich nur schlecht auf solche Aussagen reagieren. Leute erzählen einem dann, dass der Enkel Lichtschalter immer interessanter gefunden habe als die Enkelin. Technikaffin halt. Junge halt. Und die Mädchen und die Puppen.
Wie gesagt, Ida mag auch Puppen. Ida steht morgens aber auch an unserem Fenster und lässt sich nur unter lautem Protestgeheul dort wegnehmen; unten sind Bagger. Ida unterscheidet mit ihren 2,5 Jahren selbstständig Löffel- und Schaufelbagger.
Und dies ist derzeit ihr liebstes Spiel:
Sie sortiert mit Hingabe und sehr ausdauernd Autos. Fehlt ein Verdeck oder ein Rad, dann sucht sie es aus der großen Autokiste (eher so ein Spielzeug-Schrottplatz als ein Fuhrpark) heraus und flickt das Auto. Ihr liebstes Spielzeug – und da versteht sie wirklich keinen Spaß, wenn es jemand anfassen will, ist das große weiße Auto links unten. Seit einem halben Jahr schon.
In der Zeit beschäftigt sich Jonas auch allein. Und zwar so:
Er bastelt. So mit Schere, Papier, Stiften und Kleber. Lang, aufmerksam und ausdauernd.
Aufräumen tut keiner von ihnen gern. Oder überhaupt. Sie räumen einfach nicht auf. Ida grinst mich bei dem Wort „Aufräumen“ frech an und sagt „Mama, NEIN!“ Sie schleudert es mir entgegen, ihr Nein, kichert und geht ihrer Wege, der kleine Troll. Jonas hat über die letzten Jahre mir noch nicht ganz erschlossene Wege der Aufräumvermeidung gefunden. Es hat etwas mit plötzlichem Hörverlust und dringend zu erledigenden Dingen unter dem Hochbett zu tun.
So sind sie. Kleine Persönchen, die sie nicht das kleinste Bisschen darum scheren, ob irgendwas in ihren Genen ihr Handeln bestimmt. Allgemein, liebe Gene, ist mein Eindruck, dass diese beiden sich recht wenig sagen lassen. Das mit dem Bestimmen wird also ganz, ganz schwierig. Aber ihr müsst nicht traurig sein, liebe Gene – die Gesellschaft erledigt das für euch. Am Ende werden es ein Mädchen und ein Junge sein.
Für mich aber, für mich werden es Ida und Jonas sein. In all ihren wundervollen Eigenheiten, Einzigkeiten, Eigenartigkeiten und Schrecklichkeiten.
Ach so, ich will das Ergebnis der Bastelstunde nicht vorenthalten. (Fragt mich nicht – irgenwas mit Düsenantrieb. Nachts ein paar Tage später habe ich dieses Ensemble klammheimlich wieder aufgelöst. In dem Mäppchen befanden sich zerbröselte Salzstangen.) Hier ist es:
